Vom 10. bis 13. April stand der Monte Verità im Zeichen literarischer Auseinandersetzungen mit Raum, Identität und Erinnerung. Internationale Autor*innen, Künstler*innen und Intellektuelle widmeten sich dem zentralen Thema des Festivals, der Psychogeographie, und erforschten wie sich Umgebung und Inneres gegenseitig prägen.

Die Eventi letterari Monte Verità 2025 widmen sich der Psychogeographie – einer avantgardistischen Methode zur Wahrnehmung von Raum und Stadtentwicklung. In den 1950er und 1960er Jahren erforschten die Pariser Situationist*innen, wie Umgebung und Architektur unser Erleben beeinflussen. Sie entwarfen Quartiere zum Arbeiten, Spielen – und solche, in denen man sich einfach küssen muss. Bereits 1778 beschrieb Jean-Jacques Rousseau, wie die Natur die Gedanken wandelt, und sah die Schweiz als einen riesigen Pariser Boulevard, in dem wilde Natur und Zivilisation einander einzigartig nah sind. Lässt sich die Schweiz heute als lebendiger Kultur- und Naturboulevard denken? Diese Frage stellt sich auch angesichts aktueller städtebaulicher Herausforderungen und wird vom Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor aufgegriffen. Er baut derzeit die Erweiterung für das Museum Beyeler in Basel und Wim Wenders dreht einen Film über ihn, bzw. über seine Bauten, die die Materialität mit dem Denken aus der Tiefe der Zeit verbinden. Der ungarische Philosoph László F. Földényi widmete Zumthors Bruder-Klaus-Kapelle ein Kapitel in Lob der Melancholie (Matthes & Seitz Berlin, 2019). Auf dem Monte Verità treffen sich die beiden erstmals zu einem Gespräch – ein Ereignis!
Ein besonderer Höhepunkt war das Gespräch zwischen Peter Zumthor und László F. Földényi über Architektur als Ausdruck innerer Zustände. Die beiden Persönlichkeiten, die sich seit Langem gegenseitig schätzen, begegneten sich hier zum ersten Mal persönlich – vor einem begeisterten Publikum. In einem ebenso spontanen wie tiefgründigen Dialog übernahmen beide abwechselnd die Rolle von Moderator und Gast und interviewten sich gegenseitig. Ein einzigartiger Moment, der dem Publikum noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Mit dem Enrico-Filippini-Preis wurde der Verlag Adelphi ausgezeichnet – für seine visionäre verlegerische Haltung, seine unverwechselbare Ästhetik und die Idee des Buches als Gesamtkunstwerk. In seiner Laudatio würdigte Paolo Di Stefano Adelphi als einen Verlag, der «die Präzision der Kuratierung, die Akribie der Übersetzung und die Abscheu vor dem Druckfehler» in seiner DNA trägt.
Ein besonders bewegender Moment der diesjährigen Ausgabe war die Hommage an Fleur Jaeggy: Schauspielerin Patrycia Ziolkowska las aus dem Longseller Die seligen Jahre der Züchtigung, begleitet vom Orchester der Tonhalle Zürich. Barbara Villiger Heilig eröffnete den Abend mit persönlichen Erinnerungen an die zurückgezogen lebende Autorin.
In den psychogeographischen Reflexionen von Judith Schalansky, Irene Solà und Nadia Terranova, den seelischen Landschaften von Scholastique Mukasonga sowie den aktuellen Fragen nach kollektiver Erinnerung zeigte das Festival eindrucksvoll, wie Literatur Räume erschliesst, die weit über das Sichtbare hinausreichen. Vanni Santoni stellte seinen aktuellen Roman Il detective sonnambulo vor – eine psychogeographische Erzählung über vier Städte, vier Lebenswege und die Frage, ob der Mensch die Geschichte prägt oder von ihr geprägt wird.
Das Gespräch zwischen dem Kulturtheoretiker Diedrich Diederichsen und der Kuratorin Bice Curiger war eine dichte Auseinandersetzung mit Mindmaps, zeitgenössischer Kunst und Popkultur – ein Gedankenaustausch voller theoretischer wie visueller Impulse.
Akustische und visuelle Eindrücke rundeten das Programm ab: das Bauhaus-Ballett im Teatro San Materno, nächtliche Stummfilmprojektionen mit Livemusik und die Klangexperimente von Julian Sartorius in der Natur – Kunst und Landschaft verschmolzen, Denken wurde sinnlich. «Literatur wurde zur Topografie der Seele: Zwischen Baumkronen und Denklandschaften entstanden innere Karten – poetisch, politisch, persönlich», resümiert der künstlerische Leiter Stefan Zweifel. «Autor*innen, Denker*innen und Intellektuelle haben gemeinsam mit dem Publikum ein offenes Denk-Labor geschaffen – ein Raum, in dem nicht Antworten, sondern Fragen gefeiert wurden.» Die dreizehnte Ausgabe präsentierte sich als interdisziplinäres Gesamtkunstwerk, das die Sinne ebenso ansprach wie den Intellekt – und weit über die Grenzen des Tessins hinausstrahlte. Festivalpräsident Raphaël Brunschwig zieht Bilanz: «Die Resonanz war überwältigend – die Menschen verspüren offensichtlich ein starkes Bedürfnis nach Tiefe, Austausch und echten Begegnungen.» Das Festival lebte vom Dialog – zwischen Stimmen, Disziplinen und Welten.
Die dreizehnte Ausgabe der Eventi letterari wurde von der Associazione Eventi letterari Monte Verità gefördert, der Raphaël Brunschwig vorsteht. Die künstlerische Leitung lag bei Stefan Zweifel in Zusammenarbeit mit Stefano Knuchel und Giuliana Altamura, die organisatorische Leitung bei Carmen Werner. Ein besonderer Dank geht an das Departement für Bildung, Kultur und Sport des Kantons Tessin, die Gemeinde Ascona, die Tourismusorganisation Lago Maggiore e Valli und an den Presenting Partner, die Mobiliar. Das Festival dankt auch den Kulturstiftungen und den privaten Förder*innen, die das Projekt unterstützen.
Die vierzehnten Eventi letterari Monte Verità finden vom 26. bis 29. März 2026 in Ascona und Locarno statt.
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