Mit dem Frühling erwacht der Monte Verità zum Leben: Vom 10. bis 13. April 2025 erkunden die Eventi letterari Monte Verità mit den Mitteln der Psychogeographie den Zusammenhang von Landschaft und Seele, Architektur und Psyche. Eröffnungsgast des Festivals ist der Kulturtheoretiker und Autor Erik Davis. Das vielseitige Programm aus Lesungen, Filmvorführungen, Tanz- und Musikdarbietungen wird von Stefan Zweifel kuratiert und steht nun vollständig fest. Im Zentrum steht der 150. Geburtstag von C.G. Jung, dessen Theorien zu Archetypen und dem kollektiven Unbewussten bis heute relevant sind. Ein Höhepunkt ist der exklusive Besuch der Eranos-Stiftung am Lago Maggiore, die seit 1933 im Geiste Jungs Tagungen abhält. Mit einer Lesung und einem Konzert in Zusammenarbeit mit der Tonhalle Zürich wird das literarische Schaffen von Fleur Jaeggy geehrt. Und Stararchitekt Peter Zumthor spricht mit László F. Földényi über die Verbindung von Baukunst und Philosophie.

Die Eventi letterari Monte Verità 2025 widmen sich der Psychogeographie – einer avantgardistischen Methode zur Wahrnehmung von Raum und Stadtentwicklung. In den 1950er und 1960er Jahren erforschten die Pariser Situationist*innen, wie Umgebung und Architektur unser Erleben beeinflussen. Sie entwarfen Quartiere zum Arbeiten, Spielen – und solche, in denen man sich einfach küssen muss. Bereits 1778 beschrieb Jean-Jacques Rousseau, wie die Natur die Gedanken wandelt, und sah die Schweiz als einen riesigen Pariser Boulevard, in dem wilde Natur und Zivilisation einander einzigartig nah sind. Lässt sich die Schweiz heute als lebendiger Kultur- und Naturboulevard denken? Diese Frage stellt sich auch angesichts aktueller städtebaulicher Herausforderungen und wird vom Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor aufgegriffen. Er baut derzeit die Erweiterung für das Museum Beyeler in Basel und Wim Wenders dreht einen Film über ihn, bzw. über seine Bauten, die die Materialität mit dem Denken aus der Tiefe der Zeit verbinden. Der ungarische Philosoph László F. Földényi widmete Zumthors Bruder-Klaus-Kapelle ein Kapitel in Lob der Melancholie (Matthes & Seitz Berlin, 2019). Auf dem Monte Verità treffen sich die beiden erstmals zu einem Gespräch – ein Ereignis!


Eine Hommage an Fleur Jaeggy und Adelphi

Wie eng der Monte Verità mit der eigenen Geschichte verbunden ist, erkundete Fleur Jaeggy in einem Text, dessen italienisches Original verschollen scheint. Die 2025 mit dem Schweizer Grand Prix Literatur ausgezeichnete Autorin wird von Barbara Villiger Heilig in Zusammenarbeit mit der Tonhalle Zürich mit einem Konzert und einer Lesung von Patrycia Ziolkowska geehrt. Fleur Jaeggy war mit dem Leiter des Adelphi-Verlags Roberto Calasso verheiratet und lebt heute zurückgezogen in Mailand. Grüsse von ihr überbringen die heutigen Verleger*innen Teresa Cremisi und Roberto Colajanni, die den Enrico-Filippini-Preis 2025 für Adelphi entgegennehmen. Der renommierte Verlag hat nicht nur Werke von Hermann Hesse und Friedrich Dürrenmatt in Italien bekannt gemacht, sondern auch die literarische Vermittlung zwischen der Schweiz und Italien gefördert.


Autorinnen auf psychogeographischer Spurensuche

Judith Schalansky, die mit Atlas der abgelegenen Inseln (Mare, 2009) einen internationalen Bestseller landete, leitet als Herausgeberin und Buchgestalterin bei Matthes & Seitz Berlin die Pionierreihe Naturkunden, von der kürzlich der 100. Band erschienen ist. Die deutsche Autorin spricht mit der Literaturwissenschaftlerin Jutta Person über Nature Writing und darüber, wie Literatur der stummen Natur eine Stimme verleihen kann. Ebenfalls eingeladen wurde Irene Solà, Gewinnerin des Literaturpreises der Europäischen Union 2024, deren Roman Singe ich, tanzen die Berge (S. Fischer Verlag, 2024) aus der Perspektive von Tieren und Naturwesen erzählt. Die ruandische Autorin Scholastique Mukasonga beschäftigt sich mit der Tragik, dass Afrika zwar eine Geographie mit dem Nil und Kilimandscharo besitzt, aber keine eigene freie Geschichte. Ihr Roman Die Heilige Jungfrau vom Nil (Das Wunderhorn, 2014) zeigt das fragile Gleichgewicht zwischen Tradition und Moderne. Die italienische Erfolgsautorin Nadia Terranova stellt ihr jüngstes Werk Quello che so di te (Guanda, 2025) vor. In ihrem wohl persönlichsten und zugleich intensivsten Roman hinterfragt sie die Macht der individuellen und kollektiven Erinnerung sowie die Fähigkeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.


Psychogeographien und innere Landschaften

Vanni Santoni erkundet in Il detective sonnambulo (Mondadori, 2025) mit psychogeographischem Blick vier Städte – Paris, Davos, Berlin und Venedig. Auch Matteo Terzaghi und Peter Weber erforschen literarisch die Eigenart der Schweizer Landschaft und den kulturellen Dialog zwischen dem Tessin und der Deutschschweiz. Weber, bekannt für seinen Erstling Der Wettermacher (Suhrkamp, 1996), verzaubert Landschaften in rhythmische Prosa. Die Kunstgeschichte des Monte Verità beleuchtet Tobia Bezzola (MASI Lugano), der eine Brücke zu Carona schlägt, einem einstigen Künstlerort von Meret Oppenheim und David Weiss. Der deutsche Kulturphilosoph Diedrich Diederichsen diskutiert mit der renommierten Kuratorin Bice Curiger über Mindmaps als künstlerische Kartografie unserer Zeit. Marie NDiaye hingegen verlegt die psychogeographische Erkundung nach innen: Ihre Romane durchmessen feingliedrige Psycholabyrinthe, in denen sich das Unbewusste spiegelt. Seit Mein Herz in der Enge (Suhrkamp, 2011) setzt sie sich mit archaisch-archetypischen Figuren des Unheimlichen auseinander – eine literarische Kartografie der Seele, die Die Zeit nach Die Rache ist mein (Suhrkamp, 2021) als „unbegreiflich“ beschrieb.


Erweiterte Perspektiven: Kunst, Film und Musik

Der Monte Verità war stets ein Ort der künstlerischen Experimente. Im Teatro San Materno von Ascona wird ein Bauhaus-Ballett von der Compagnia Tiziana Arnaboldi aufgeführt, das die Ästhetik dieser Kunstbewegung zelebriert. Nachts erwachen Seelenlandschaften in bewegten Bildern zum Leben: Stummfilme werden in Zusammenarbeit mit dem Institute of Incoherent Cinematography (IOIC) von Live-Musik-Projektionen begleitet. Zudem präsentieren Ludwig Berger und Pablo Diserens die Plattentaufe eines Albums mit Klängen aus dem Onsernone-Tal, inspiriert von der fiktiven Figur Basalt. Die Natur als Resonanzraum wird durch Julian Sartorius erlebbar. Der Schlagzeuger interagiert live mit Bäumen, Pflanzen und Steinen des Berges und erschafft dabei Klanglandschaften.


Tarot, Gastronomie und Sinneserfahrungen

Individuelle Tarot-Sitzungen mit Susanne G. Seiler (Cabaret Voltaire “The Psychedelic Salon”) und Clara Aloi eröffnen eine spielerische, introspektive Dimension der Veranstaltung. Die sinnliche Erfahrung setzt sich in der Kulinarik fort: Küchenchef Piero Roncoroni, dessen Osteria del Centro in Comano als einziges Restaurant im Tessin mit einem Grünen Michelin Stern ausgezeichnet wurde, knüpft mit seiner pflanzlichen Küche an die ursprünglichen Ideale der Gründer des Monte Verità an.


Das gesamte Programm der Eventi letterari Monte Verità 2025 mit weiteren Gästen, Lesungen und Performances ist verfügbar.

Die dreizehnte Ausgabe der Eventi letterari wird von der Associazione Eventi letterari Monte Verità gefördert, der Raphaël Brunschwig vorsteht. Die künstlerische Leitung liegt bei Stefan Zweifel in Zusammenarbeit mit Stefano Knuchel und Giuliana Altamura, die organisatorische Leitung bei Carmen Werner. Ein besonderer Dank geht an das Departement für Bildung, Kultur und Sport des Kantons Tessin, die Gemeinde Ascona, die Tourismusorganisation Lago Maggiore e Valli und an den Presenting Partner, die Mobiliar. Das Festival dankt auch den Kulturstiftungen, die das Projekt unterstützen.

Die Eventi letterari Monte Verità finden vom 10. bis 13. April 2025 in Ascona und Locarno statt.

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Pressekontakt Deutsche Schweiz
Claudia Wintsch, elliott AG
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